Mit sozialistischem Gruß – Einblicke in Projektergebnisse eines Seminars
Studierende der Bibliotheks- und Informationswissenschaften der HU Berlin haben sich im WS 2021/22 auf eine Reise in die Zeit des Kalten Krieges begeben.
Für den Zeitraum eines Semesters näherten sie sich einer historisch besonderen Zeit und zwei Staaten an, deren Staatsform von den geschichtlichen Ereignissen der Zeit hinweggefegt wurden. Inhaltlich begegneten sie mehreren Themen, es ging um Sozialismus, DDR und Ungarn als sogenannte Bruderstaaten und zudem um Heimerziehung zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.
Eine erste wichtige Station schon relativ zu Beginn des Seminars ist der Besuch vor Ort auf dem Gelände des ehemaligen Kinderheims in der Königsheide in Berlin, Ortsteil Johannisthal (Bezirk Treptow-Köpenick). Hier befindet sich das Informations- und Begegnungszentrum (IBZ) Königsheide, das sich der Aufarbeitung der Geschichte des ehemals größten Kinderheims der DDR verschrieben. Verantwortlich für diesen Bereich zeichnet der Verein Stiftung Königsheide e. V., Träger des IBZ Königsheide gemeinsam mit dem ehemaligen Verein Königsheider Eichhörnchen e. V., der sich um die Belange ehemaliger Heimbewohner:innen kümmert und sich bemüht, ihnen ein umfangreiches Angebot für unterschiedliche Belange an Beratung, Hilfestellung, Veranstaltungen bis hin zur Organisation gemeinsamer Unternehmungen und Vereinsfahrten anzubieten.
Sie tauchten ein in die langjährige und intensive Freundschaft zwischen dem größten und zugleich Vorzeigekinderheim der DDR und der seinerzeit größten Kinderstadt Europas in Ungarn. Es war eine Zeit, die heute nur aus Literatur und historischer Aufarbeitung erfahrbar ist, umso wertvoller die Möglichkeit, Zeitzeug:innen zu begegnen, die authentisch von ihren Erlebnissen seinerzeit berichten und sich für die Begegnung mit der nachwachsenden Generation öffnen.
Ein wichtiger Aspekt dieser bemerkenswert vielfältigen Partnerschaft zwischen diesen beiden Heimen war bei aller staatlich wohlwollend begleiteter Unterstützung der Austauschaktivitäten das Vorhandensein von sehr engagiertem Heimpersonal auf beiden Seiten, die sich für diese für sie auch immer sehr arbeitsreichen Programme einsetzten. Hin dieser Hinsicht kann für beide Heime von einem Glücksfall gesprochen werden, dies zeigt sich in den lebhaften Erinnerungen auch unserer hier von den Studierenden befragten Zeitzeug:innen. Und natürlich spielte auch eine Rolle, wer denn überhaupt zu diesen Fahrten mitgenommen wurde, auch dies ein Thema, das die Studierenden bei ihren Befragungen mit auf ihrem Zettel hatten.
Um sich der Zeit inhaltlich annähern zu können, wurde an jede/n der Seminargruppe ein Schlagwort verteilt, zu dem ein kurzer Artikel zur orientierenden Übersicht und historischen Einordnung zu erstellen war.
Kurz zu den Prämissen der Freundschaft zwischen beiden Kinderheimen: Der Eiserne Vorhang versperrte die Wege in westlichen Gefilde, um so mehr war auf Seiten der DDR der Schulterschluß zwischen sogenannten „Bruderstaaten“ und somit auch in Richtung Volksrepublik Ungarn gerne gesehen. So kam es zu der ereignisreichen Partnerschaft zwischen dem Kinderheim A. S. Makarenko in der Königsheide, Berlin und der Kinderstadt in Fót bei Budapest (Fóti Gyermekváros), welche mit ihren damals fast 1.000 Kindern als das größte Kinderheim in Europa überhaupt galt.
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten ab 1958 blühte eine enge Freundschaft zwischen den beiden Kinderheimen auf mit Austauschprogrammen, gegenseitigen Besuchen, gemeinsamen Projekten und vor allem Begegnungen sowohl zwischen den Kindern und Jugendlichen als auch den Mitarbeitern für inhaltlichen und fachlichen heimpädagogischen Austausch über die Grenzen hinweg.
Im Seminar beschäftigten sich die Studierenden mit einer über viele Jahrzehnte hinweg florierenden partnerschaftlichen Zusammenarbeit und verorteten diese jeweils im Lichte der Zeit und politischen Verhältnisse.
Anhand unterschiedlicher Aufgaben näherten sie sich dem Thema, um so einen Zugang zu erhalten zur damaligen Zeit, den Besonderheiten der Heimerziehung unter sozialistischer Führung und den Merkmalen der Freundschaft zwischen beiden Kinderheimen.
Praktische Arbeiten waren hierbei die Erstellung von Inhalten für verschiedene mediale Formate:
- Zeitzeugenarbeit in Form eines Videos,
- Planspiel Veranstaltungsmanagement,
- Vorbereiten einer Präsentation zu beiden Einrichtungen
- Erstellung von Wikipedia-Einträgen
- Moderation einer Radiosendung
Die Ausstellung hat ihren Auftakt im traditionsreichen Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee in Berlin. Sie zeigt die Ergebnisse der Studierenden und fasst ihre Arbeiten sowohl in Print- als auch Webformat zusammen.
Für die Öffnungszeiten der Ausstellung bitte bei der Webseite des Café Sibylle informieren
An dieser Stelle noch ein paar Worte zu den Inhalten, zum Anliegen und zum Verlauf des Seminars.
Seit nunmehr fünf Jahren führen wir am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften der HU Berlin jeweils im Wintersemester ein als Projektseminar angelegte Veranstaltung durch. Es war nach der coronabedingten Pause im Jahre 2019 das erste Semester, was wieder einen Großteil an Präsenz erlaubte. Ohne diese Möglichkeit wäre dieses Seminar sonst auch nur sehr schwer umsetzbar gewesen, lebt es vor allem von der bewußt gewollten Gruppenarbeit und der Begegnung mit Zeitzeug:innen. Bei allen Vorteilen digitaler Begegnungsräume im Internet bietet das tatsächliche physische Sichgegenübersitzen bei biographischen Arbeiten eine doch bessere Plattform für die Begegnung der Generationen und für das Öffnen für gerade bei Heimbezug nicht immer einfache Lebensgeschichten.
Die Studierenden hatten von uns ein großes Paket an Aufgaben geschnürt bekommen – zuweilen wohl auch zu ehrgeizig von uns zusammengestellt – jeweils mit unterschiedlichen Intentionen seitens der Dozentinnen. Sie sollten helfen, eine Brücke zu der vergangenen Zeit, den heute nicht mehr existenten beiden Staatsformen unter dem Sozialismus und dem Themenkomplex Heimerziehung generell. Auch war ein großer Antrieb wie immer, so viel Praxis wie möglich einzubinden. Hierzu zählt das Arbeiten in der Gruppe mit allen Vor- und Nachzeichen, das Wagnis, mit neuer Technik zu arbeiten und Formate für öffentliche Veranstaltungen zu entwickeln. Sogar die Moderation einer Radiosendung auf dem Bürgersender Alex TV stand mit auf dem Seminarprogramm.
An dieser Stelle auch ein besonderer Dank an Jörg Schulz vom Grimm-Zentrum (Humboldt-Universität zu Berlin | Computer- und Medienservice | Digitale Medien – Video- und Audioservice). In jeweils zwei Schichten führte er ein in die Handhabung der für die Zeitzeug:inneninterviews später auch bereitgestellten professionellen Videokamera samt Funktechnik für den Ton. In einer zweiten – ebenfalls doppelten – Schicht erfolgte die Einführung in das digitale Schnittprogramm Final Cut, was über 4 Schnittplätze mit Zugangskarten für jede Gruppe ebenfalls an Schnitt-Rechnern im Grimm-Zentrum zur Verfügung stand.
Schnittberatung und Unterstützung im Aufbau und Vorbereitung ihres Schnitts – und hier auch ein großes Dankeschön! – erhielten die Studierenden von der Editorin und Dramaturgin, Stephanie Meth.
Da das Seminar besonders Raum für Praxiserfahrung geben soll, haben wir auch Aufgaben mit eingefügt, die auch in Einrichtungen wie Museen oder Archiven bei einer möglichen Beschäftigung nach dem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften anstehen können. Die öffentlichkeitswirksame Realisierung von Publikum anziehenden Veranstaltungen ist für alle solchen Einrichtungen ein wesentlicher Standpfeiler im Kampf um öffentliche Mittel. Hierzu gehören auch die Bereicherung einer medialen Präsenz zum Beispiel mit Zeitzeug:innenformaten. Auch dies daher ein Baustein im Rahmen unseres Seminarkonzeptes – führt es zudem die inhaltlichen Bereiche aus der Bibliotheks- und Informationswissenschaft schön mit deren Umsetzung in der Praxis zusammen.
Es ist immer wieder schön zu sehen, dass auch in diesem Falle eine Ausstellung umgesetzt werden kann, die die Arbeiten bündelt und vor allem damit auch einem breiten Publikum die Chance gibt, ein Thema kennenzulernen, das sich nicht allzu hoher Medienaufmerksamkeit erfreut: die Heimerziehung – und hier im Speziellen unter sozialistischen Vorzeichen.
So leisten die Studierenden einen wichtigen Beitrag im Hinblick auf einen persönlichen Zugang zu Lebensrealitäten vergangener Zeiten, Bewahrung von persönlichen Erinnerungen und auch den Menschen eine Stimme zu geben, deren Lebenswelt besonders in Bezug auf die Heimerfahrung in der Öffentlichkeit wenig zugänglich und überwiegend von Stigmatisierung und leider auch Ausgrenzung in verschiedenster Hinsicht geprägt ist.
Der Auftakt der Ausstellung findet statt im Café Sibylle.
Hier die Ansicht der Einladungskarte zur Ausstellung: